Elfmeterpunkt

erschienen in der Wiener Zeitschrift „Augustin“

Ich war nach dem Spiel ganz aufgekratzt, weil fünfzig oder hundert Leute meinen Namen gebrüllt haben. Wir haben zwei-zu-eins gewonnen, das zweite Tor, einen Elfmeter fünf Minuten vor Schluss, hab ich geschossen. Der Ball hatte noch nicht einmal das Netz berührt, da sind mir schon zwei oder drei Kollegen hinten draufgesprungen, bald lagen alle zehn auf mir. Und als ich endlich wieder aufstehen konnte, hörte ich die Zuschauer im Chor meinen Namen rufen. Ich hab zu Crissi, meiner Freundin, geschaut und fast geheult, weil sie mich stolz angrinste.

Als alle anderen schon längst zu Hause oder im Wirtshaus waren, hockten wir noch auf der leeren Tribüne. Crissi hat mir Mut gemacht, dass ich nächstes Mal vielleicht schon von Beginn an spielen darf, ich versuchte lässig zu wirken und sagte, ich hätte nichts dagegen. Dann musste sie mal aufs Klo. Ich habe ihr nachgesehen, wie sie die Stufen zwischen den Sitzbänken hinunterging und im Gang zu den Kabinen und Duschräumen verschwunden ist.

Und da ist mir der Kurtl, der Zeugwart, unten auf dem Platz aufgefallen. Mit seinem Wagerl, das wie diese alten Rasenmäher aussieht, aber statt der Klingen eine Walze hat und einen Korb für den Kalk statt für abgeschnittenes Gras. Seine glänzende Trainingshose mit drei weißen Streifen an der Seite war schlabbrig und so lang, dass er bei jedem Schritt mit den Tennisschuhen hinten draufgestiegen ist. Dazu trug er ein rotes FC Barcelona Shirt, und sein schwarzschwarzes Haar war mit nicht wenig Pomade nach hinten frisiert.

Der Kurtl hat den Wagen an der rechten Outlinie entlang geschoben, also auf der Seite, wo die Trainerbank steht. Wie er beim Eingang zu den Spielerkabinen vorbeigekommen ist, hat er es stehen lassen, ein Handtuch von der Trainerbank genommen und sich Hände und Gesicht abgewischt. Könnte auch ein Fetzen gewesen sein, von da oben sieht man das nicht so genau. Er hat kräftig an einer Colaflasche gezogen und ist dann wieder zu seinem Wagerl hingeschlapft. Die Flasche hat er im Vorbeigehen auf die Bank gestellt, den Fetzen über die Lehne gehängt, aber der ist auf den Boden gefallen, ohne dass es der Kurtl bemerkt hätte. Dann hat er die Seitenlinie fertig gezogen, und die Linie fürs Torout.

Ich hätt dem Kurtl gern noch zugesehen, wie er den Strafraum macht, und es hätte mich brennend interessiert, wie er den Elfmeterpunkt fabriziert. Doch da war die Crissi schon wieder bei mir und der Kurtl mit seinen Strichen auf der Wies’n kräftig uninteressant geworden. Ich hab die Crissi nach Hause gebracht, und wir haben uns im Auto noch ausführlich verabschiedet. Ich wollte dann noch einmal zum Fußballplatz zurück, einfach nur um mir die fertigen Striche anzusehen. Aber es war schon finster, also bin ich nach Hause gefahren.

Fernseher aufdrehen, essen, am Klo die Kronenzeitung lesen. Vor allem die Seite fünf, die mit der Nackten. Ich hab mich gewundert, wer sich so einen saublöden Text dazu ausdenkt. Sollen sie doch lieber die Maße dazuschreiben. Bei einem Autobild steht doch auch: dreihundertfünfzig PS und von null auf hundert in vierkommasoundso Sekunden, und nicht: Testarossa will in der Sonne an der Küstenstraße flanieren, um mit seinem perlweißen Metalliclack und sanftem Motorbrummen die Scheinwerfer aller 500er Fiats auf sich zu lenken (Cinquecentos beim Spannen). Oder?

Dann bin ins Bett, doch statt wie sonst an Crissi zu denken, ging mir die ganze Zeit der Kurtl mit seinen Kalklinien durch den Kopf. Geträumt hab ich auch von ihm. Er hat die Outlinie zu einer Bergstraße gemacht, den einen Strafraum windschief, den anderen zu klein, und schließlich ist er mir mit dem Kalkwagen über die Tuchent gefahren. Ich hab ihm die Decke weggezogen, so richtig unter den Füßen weg, und er ist auf den Rücken gepurzelt. Aber, anstatt dass er wieder aufgestanden ist, hat er sich auf die Seite gedreht und den Bauch gehalten, vielleicht war es auch die Brust, so im Nachhinein betrachtet.

Am nächsten Tag beim Training war eine schwarze Fahne am Mast. Wie ich bemerkt habe, dass zwar der eine Strafraum fertig war, aber nicht der Mittelkreis und der andere Strafraum, habe ich Punkte flimmern gesehen. Aus den Punkten ist ein großer, schwarzer Fleck geworden, und ich bin weggekippt. Zehn Minuten später bin ich auf einer Krankentrage wieder aufgewacht. Im Gegensatz zum Kurtl, der war schon kalt, als sie ihn in der Früh gefunden haben. Die ganze Nacht hat er zusammengerollt mit dem Gesicht am Elfmeterpunkt gelegen.

Nie wieder werde ich einen Elfmeter schießen können, weil ich dann sicher glaub, ich tret auf den Kurtl seinen Kopf, und nicht auf einen Ball. Vielleicht spiel ich jetzt besser Korbball, so wie die Crissi. Da sind auch die Linien fix.